Stefan Grass über die lebensnotwendige CO2-Konzentration in der Luft

Unsere Atemluft ist in Gefahr

In seinem neuen Buch mit dem Titel «Der Stoff, aus dem wir sind», beschreibt Publizist Fabian Scheidler den nötigen tiefgreifenden Wandel: «Warum wir Natur und Gesellschaft neu denken müssen» (Piper Verlag, München 2021). In einer faszinierenden Reise durch die Wissenschaften zeigt Scheidler auf, dass wir Menschen nicht die Natur beherrschen, sondern wir ein unentrinnbarer Teil davon sind.

Am Beispiel der gemeinsamen Atemluft zeigt er die Abhängigkeit aller Lebewesen von der seit Millionen von Jahren natürlichen Konzentration des Kohlendioxids (CO2). Durch die Verbrennung fossiler Energieträger steigt die Konzentration von CO2 auf ein für uns als Lebewesen unverträgliches Mass. Es sind also zwei Effekte, die der steigende CO2-Anteil in der Luft verursacht: die lebens-feindliche Klimaerhitzung durch den Treibhauseffekt und eine krankmachende CO2-Konzentration von über einem Promille! 

Menschen können, wie alles, was lebt, niemals isoliert existieren. Alle Lebewesen, auch Pflanzen, Pilze und Bakterien, atmen. Dabei geben sie ein Stück von sich an die Welt ab und nehmen etwas anderes aus ihr auf. Nach Scheidler ist die gesamte Biosphäre ein grosses atmendes Wesen. Wenn auf der Nordhalbkugel im Herbst die Blätter fallen und viele Pflanzen die Fotosynthese einstellen, atmet die halbe Erde aus, während auf der Südhalbkugel die jungen Triebe ergrünen und den Kohlenstoff aus der Luft binden. Da es auf der Nordhalbkugel jedoch wesentlich mehr Land und Vegetation gibt, entspricht der nördliche Herbst und Winter tatsächlich einer globalen Ausatmung, bei der die CO2-Werte steigen, während sie im Frühjahr und Sommer sinken. Dadurch ergibt sich die natürliche Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre, die durch die fossile Verbrennung bekanntlich immer schneller zunimmt. 

Dieser Zyklus der globalen Atmung beruht auf unzähligen ineinandergreifenden Gleichgewichten, wie Scheidler in seinem Buch weiter schreibt. Damit Menschen und andere Wesen leben können, muss die Luft der Atmosphäre eine ganz besondere Mischung von Gasen enthalten. Kohlendioxid etwa ist in zu grossen Mengen nicht allein als Treibhausgas für die Biosphäre gefährlich, sondern auch unmittelbar für die Körperfunktionen von Menschen und Tieren. Bereits bei einer Konzentration von einem Promille CO2 (1000 ppm) in der Atmosphäre setzen schon nach Stunden erste Störungen geistiger und körperlicher Funktionen ein. Bei 1400 ppm sinken die geistigen Fähigkeiten bereits um die Hälfte. Ab 2000 ppm kommt es mittelfristig zum Zerfall von Körpergewebe. Gegenwärtig liegt die durchschnittliche Konzentration bei 410 ppm gegenüber 280 vor der Industrialisierung. Werte von über 1000 ppm werden schon heute oft in Innenstädten, geschlossenen Räumen – etwa Klassenzimmern – und klimatisierten Bereichen wie Büros, Zügen und Flugzeugen erreicht. Wenn eine kontrollierte Lüftung mit einer CO2-Messung installiert ist, wird sie bei einer CO2-Konzentration ab 600 ppm automatisch eingeschaltet. Ab 1000 ppm – bereits ab vier Personen im gleichen Raum – hilft meistens nur noch durchlüften. 

Mit diesem Beispiel zeigt Scheidler, wie fein unsere natürliche Umgebung und unser Körper aufeinander abgestimmt sind. Wir sind Teil eines über Jahrmillionen entstandenen hochkomplexen Netzwerks von Kreislauf-prozessen. Was geschehen wird, wenn wir in diese Kreisläufe eingreifen, lässt sich nicht vorhersehen. Wir sind angewiesen, dass die Welt mehr oder weniger so bleibt, wie sie war, als unsere Ahnen sich zum Homo sapiens entwickelt haben. Auf diese Art von Welt sind wir körperlich geistig und seelisch vorbereitet, diese Art von Welt brauchen wir und unsere Enkel, um zu gedeihen und keinen Schaden zu nehmen. 
 

Stefan Grass ist Präsident des VCS Graubünden und Sekretär der Vereinigung Bündner Umweltorgani-sationen VBU. Sein Gastkommentar erschien am 28.01.2022 im Bündner Tagblatt.

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